Freitag der 13. Genauer gesagt, 13.3.2020. Diesen Freitag werde viele von uns in Erinnerung behalten. In Deutschland wurde angekündigt, dass es mit dem Lockdown ernst wird. Ich bin in der privilegierten Position, dass sich an meinem Arbeitsstil nicht viel geändert hat. Im Homeoffice war ich schon seit Beginn meiner Selbständigkeit im Jahr 2016. Die Hürden der Selbstorganisation, der Disziplin, des Findens neuer Tools hatte ich schon genommen. Allerdings war mein Hauptumsatz bestimmt von persönlichen Führungskräfte-Coachings. Die sind weggebrochen. Einige meiner Kunden sind offen für online Coachings, andere wollen abwarten. Dadurch hatte ich Zeit, mich mit den Themen Führung auf Distanz und Organisation von verteilten Teams zu beschäftigen. Mein Umfeld in den sozialen Medien beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Homeoffice. Ich frage mich immer wieder „In welcher Social Media Blase bewege ich mich?“ Die Blogparade #remoteworks von Marcus Raitner nehme ich zum Anlass, um meine Reflexionen und Beobachtungen zu teilen.

Führung auf Distanz – nicht wirklich neu, oder?

Mich erstaunt, wie viel „Basisinformation“ geschrieben und geteilt wurde und wird. Dinge, die für mich selbstverständlich waren (mit über 25 Jahren Konzernerfahrung, in denen ich immer mit weltweit verteilten Teams gearbeitet habe, Telefonkonferenzen waren tägliche Routine), werden ausführlich thematisiert und diskutiert. Ich fühle mich zurückgeschleudert in eine Zeit, die ich für mich „abgehakt“ habe.

Nostalgisch schwelge ich in Erinnerungen: Als ich beim Renovieren meiner Wohnung 3 weitere Telefonbuchsen installieren ließ, denn die eine, die es gab, war (natürlich) an der falschen Stelle. Von WLAN konnte ich in den frühen 2000-er Jahren nur träumen. Der vorhandene Videokonferenzraum (!) in der Firma war nur selten genutzt – zu schlecht die Synchronisation von Bild und Ton. Dann lieber nur übers Telefon kommunizieren. Ich realisiere heute, dass ich in einer sehr privilegierten Situation war, denn schon in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich IBM mit den Themen verteilte Teams und remote Leadership auseinandergesetzt und sich intensiv mit der zugehörigen Technik beschäftigt. Dafür bin ich heute sehr dankbar, denn das verschafft mir einen enormen Vorsprung, wie ich mit diesen Themen umgehe – bis heute. IBM ist nur (m)ein Beispiel, ich weiß, es gibt viele Unternehmen, die sich auf diesem Niveau befinden. Aber ich entdecke eine (erstaunlich?) hohe Anzahl an Firmen, die sich bisher mit dem Thema nie beschäftigt haben. Also, das Thema ist nicht neu, aber dennoch sehr aktuell.

Führung – welche Führung?

In einer nicht repräsentativen Umfrage in meinem Bekanntenkreis hat sich schnell gezeigt: wenn jemand vorher einen schlechten Chef/eine schlechte Chefin hatte, dann hat sich daran nichts geändert, fehlende Leadership wird noch offensichtlicher. Chefs und Chefinnen, die vorher schon einen tollen Job gemacht haben, vom Team respektiert, anerkannt und beliebt waren, schneiden auch bei der Führung auf Distanz im Schnitt besser ab.

Wenn man auf Distanz führen muss oder will, werden sowohl Schwächen als auch Stärken deutlicher. Führungskräfte, die vorher unsicher oder wenig präsent waren, sind jetzt abgetaucht. Führungskräfte, die vorher eine Vision vermittelt haben und gute, effiziente Besprechungen gemacht haben, können das (vielleicht nach kurzen Anlaufschwierigkeiten) auch aus der Distanz. Führungskräfte, die vorher mit ihren Teams Kaffee trinken und Mittagessen waren und damit auch mal eine private Konversation hatten, bleiben trotz der Distanz in persönlichem Kontakt.

Homeoffice – es gibt nicht die EINE Lösung für alle

Einige meiner Kollegen liebten es, von zuhause aus zu arbeiten, andere liebten es, ins Büro zu kommen. Ich war irgendwo dazwischen. Ich liebte die Flexibilität, schätzte es auch, wenn ich für einen Termin mit einem Handwerker nicht einen halben Tag Urlaub nehmen musste. Ich habe auch gerne zuhause gearbeitet, wenn ich an einer Aufgabe sehr konzentriert arbeiten wollte. Im Homeoffice wurde ich deutlich weniger gestört als im Büro. Die Crux an Corona-Homeoffice: Home Schooling und Homeoffice passen nicht zusammen. Wer nur ab und zu von zuhause arbeitet, kann gut mit einem Provisorium leben. Die Ecke am Esstisch, der wenig ergonomische Stuhl, die suboptimale Aufstellung des Bildschirms und der Tastatur sind zu verkraften. Wer aber dauerhaft im Homeoffice ist, braucht bessere Lösungen – und nicht in jeder Wohnsituation sind die leicht zu schaffen. In normalen Zeiten heißt Homeoffice in der Regel auch nicht, dass gleichzeitig Kleinkinder, Schulkinder und/oder pubertierende Teenager schulisch betreut, mit Essen und Trinken versorgt werden müssen und Sie gleichzeitig der Administrator für WLAN, Laptops und Drucker sind. Diese Faktoren bedeuten automatisch, dass konzentriertes Arbeiten schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Die Arbeit auf die Abend- und Nachtstunden zu verschieben ist ebenfalls eine Corona Besonderheit, die auf Dauer der Gesundheit schadet.

Führungskultur und Homeoffice

Wie gesagt, wenn ich früher von zuhause gearbeitet habe, bin ich deutlich weniger oft unterbrochen worden, als im Büro. Hier zeigt sich aber auch ein kritischer Punkt bei der Führung auf Distanz: „aus den Augen aus dem Sinn“. Die Führungskraft ist weniger sichtbar für die MitarbeiterInnen und umgekehrt genauso. Jetzt gilt es, eine gemeinsame Kultur zu schaffen:

  • Wie bleiben wir in Verbindung?
  • Wer braucht mehr, wer weniger Kontakt?
  • Wie und wie oft geben wir uns Feedback?
  • Wie etablieren wir Feedback in beide Richtungen, damit die Organisation und unser Team lernen kann.

Ich bin fest davon überzeugt, dass es für diese Fragen keine Standardantworten geben kann. Es kann Hinweise, Ideen und Vorschläge geben – und dann geht es ans „einfach machen“ – und anpassen. Eine Fehlerkultur (ich mag ja den Begriff Lernkultur lieber) kann jetzt zu Hochform auflaufen. Mein Tipp für Führungskräfte: offen ansprechen, dass auch Sie unsicher sind und Dinge probieren. Offen ansprechen, dass Sie auf Rückmeldung aus dem Team angewiesen sind. Finden Sie Lösungen, die zu Ihnen und zu Ihrem Team passen.

Egal wie viel Sie kommunizieren, es kommt weniger an, als Sie glauben – vor allem bei Führung auf Distanz

Ich habe angefangen meine Freunde und Bekannte zu fragen, in welcher Form und wie oft ihre Führungskraft mit Ihnen kommuniziert, seit sie im Homeoffice sind. Die einen kennen nur die kurze Statusabfrage (eine halbe Stunde muss reichen) am Freitagnachmittag, die anderen erzählen, dass es tägliche Check-ins gibt und man sich gegenseitig an die Mittagspause erinnert oder digitale Kaffeepausen eingeführt hat.

Gerade in Zeiten der Unsicherheit, ist es ungemein wichtig, zu kommunizieren. Kommunikation und Information sind essentieller Teil Ihrer Aufgabe als Führungskraft, auch wenn Sie in der Firma eine Abteilung haben, die sich „Kommunikation“ nennt. Es ist auch absolut in Ordnung, Unsicherheiten zu kommunizieren. Wenn Sie noch nicht wissen, wann Ihr Team wieder vor Ort sein wird, dann sagen Sie das auch. Wenn Sie sich noch nicht im Klaren darüber sind, wie eine Aufgabe nun gestemmt werden soll, wenn alle von zuhause arbeiten, diskutieren Sie mit ihrem Team und bitten Sie um Ideen und Meinungen. Sie sind nicht allwissend und Sie müssen es nicht sein. Wie viel Information wird gewünscht? In welcher Form? Manche wollen mehr, andere sind mit weniger Information zufrieden (das war schon vorher so). Fragen Sie am Ende jeder Woche nach, was war gut, was geht noch besser.

In welcher Blase bewege ich mich?

Ich habe gelernt, dass vieles, was für mich selbstverständlich ist, für andere eine Hürde ist. Ich bin beeindruckt von der Lernfähigkeit und dem Engagement, das ich an vielen Stellen sehe – bei Führungskräften, MitarbeiterInnnen und BeraterInnen.

Ich bin dankbar, dass uns diese Situation in einer Zeit trifft, in der Technik das kleinste Problem ist. (Dass es SchülerInnen gibt, die an digitalen Lernformaten nicht teilnehmen können, weil es an Hardware mangelt, ist ein gesellschaftliches Problem für das dringend eine Lösung gefunden werden muss.) Ich bin erstaunt darüber, wie viele Führungskräfte es gibt, die Führung nur in ihrem Titel haben, sie aber nicht leben und ich bin gespannt, ob das Auswirkungen auf die Führungskräfteauswahl der Zukunft haben wird. Führung auf Distanz muss in Zukunft auch eine wichtige Rolle in der Führungskräfteausbildung (soweit es sie gibt) spielen.

Wenn ich wetten soll – das wird ein langer Prozess, leider.

(Dieser Artikel ist entstanden als Beitrag zur Blogparade von Marcus Raitner – eine wunderbare Idee. Danke für die Gelegenheit!)