Corona oder Covid-19 hat vieles verändert. Auch meine Einstellung zum Thema Online Coaching. Ich gebe zu, ich war eher bei der Gruppe der Skeptiker zu finden. Ich finde es einfach zu bereichernd, gemeinsam mit einem anderen Menschen im gleichen Raum zu sitzen und an einem Thema zu arbeiten. Wenn ich jetzt über meine Einstellung reflektiere, finde ich sie eher erstaunlich. Ich hatte schließlich schon gute Erfahrungen gemacht mit Mentoring, das rein über Telefon (also nur Sprache, kein Bild!) lief. Als Führungskraft bei IBM hatte ich immer Mentees. Häufig waren die in einem anderen Land, persönliche Treffen eher die Ausnahme. Das Mentoring hat Spaß gemacht und ich habe dafür tolles Feedback erhalten. Warum also die Skepsis dem online Coaching gegenüber? Zug um Zug habe ich die ausräumen können. Heute bin ich überzeugt, online funktioniert so gut wie offline – es erfordert aber ein bisschen Übung, Flexibilität und Kreativität vom Coach.

Die Körpersprache als wichtiges Signal

Ein verhältnismäßig kleines Portraitbild in einem Videokonferenz-System ist anders, als den ganzen Menschen zu sehen. Ich habe aber festgestellt, dass ich im Video das Gesicht so viel genauer und deutlicher sehe – fast wie durch ein Vergrößerungsglas, dass das die fehlende Körpersprache beinahe kompensiert. Ich schaue zwar, wenn ich spreche, direkt in die Kamera (zumindest versuche ich das, das muss man wirklich üben, weil es sich fremd anfühlt), aber dann kann ich gelassen meinen Blick senken und die Reaktionen meiner Coachees beobachten. Und wie im Coaching in einem Raum, schaut auch hier mein Gegenüber häufig eher nach „innen“ als mich direkt an. Wir starren also nicht immer die Kamera an, sondern es entsteht ein natürlicher Dialog.

Sind meine Interventionen für das Online Coaching geeignet?

Hier war meine Kreativität gefragt. Ich habe eine wirklich tolle, fundierte und solide Coaching Ausbildung absolviert, die ich jederzeit empfehlen kann. Doch diese Ausbildung war lange vor Corona und online Coaching war eher exotisch. Jetzt war meine Kreativität gefragt. Wie kann ich Interventionen, die super funktionieren so abwandeln, dass sie auch für das online Coaching geeignet sind?

Ich arbeite häufig mit Flipchart, Bildkarten oder Figuren. Wie bringe ich das in meinen online Coaching Raum? Es gibt Anbieter für virtuelle Coaching Räume – da hatte ich aber immer das Gefühl, dass die Technik im Vordergrund steht oder dass es doch nicht ganz einfach ist für meine Coachees, sich hier zurechtzufinden. Mit zwei meiner Kolleginnen habe ich intensiv experimentiert (danke Asja Mize und Brigitte Brütsch für Eure Zeit und Euren Input!) und schließlich doch die vorgefertigten Plattformen verworfen. Meine Lösung: eine Dokumentenkamera als zweite Kamera. Ein weißes Blatt darunter ist mein (kleines) Flipchart, Moderationskarten oder Bilder sieht mein Klient oder meine Klientin wunderbar und auch mit Figuren (legen, nicht stellen) kann gearbeitet werden. (An dieser Stelle ist ein Dank an Britta Ullrich von vizworks fällig, die mich durch ihren Online Kurs zum Thema Sketchnotes auf diese Idee gebracht hat.) Mit Tools wie Miro oder Mural als Flipchart-Ersatz experimentiere ich noch.

Was mir wichtig ist: die Technik muss so einfach und intuitiv sein, dass sie nicht vom Coaching Prozess ablenkt. In dem Moment, wo ich abgelenkt bin, weil etwas nicht funktioniert oder ich die Technik aus irgendeinem Grund (noch) nicht beherrsche, ist meine Aufmerksamkeit nicht mehr da, wo ich sie brauche. Genauso darf mein Coachee nicht damit beschäftigt sein, krampfhaft mit der Maus irgendwas irgendwo hin zu ziehen, dann ist das tiefe Nachdenken sofort unterbrochen.

Welche Rolle spielt die Technik beim Online Coaching?

Funktionierende Technik ist eine notwendige Bedingung, garantiert alleine aber kein gutes Coaching. Es ist ein Hygienefaktor. An dieser Stelle hat Corona mir in die Karten gespielt. Alle meine Coachees haben inzwischen einen ruhigen Arbeitsplatz zu hause, schnelles Internet und Übung mit online Konferenztools. Ebenso sind Webkamera und Mikrofon selbstverständlich geworden.

Meine Flexibilität ist gefragt, wenn es um den Anbieter des Konferenztools geht. Nicht jedes Tool geht auf jedem Firmenrechner. Da bin ich aber zum Glück so technikinteressiert, dass mich das nicht abschreckt (ein Lieblingstool, nämlich Zoom, habe ich trotzdem).

Unbedingt nötig ist für mich eine Möglichkeit, Dinge visualisieren zu können. Ob das ein echtes Flipchart ist, das schräg hinter mir steht und von der Kamera erfasst wird (mag ich persönlich nicht, weil ich mich dann vom Coachee und vom Bildschirm weg drehe), ein online Whiteboard oder ein Papier mit Dokumentenkamera, wie bei mir, ist egal.

Als Coach muss ich auch darauf achten, dass das Licht und meine Umgebung stimmen. Ich habe in ein Ringlicht investiert, das mir in der dunkleren Jahreszeit bestimmt noch bessere Dienste leisten wird als jetzt schon. (Achtung Brillenträger – das Ringlicht muss relativ hoch stehen, damit es keine irritierenden Spiegelungen in der Brille gibt.) Für meine Coachees ist nur wichtig, dass ich sie einigermaßen sehen kann. Ich melde es zurück, wenn ich nur die berühmte dunkle Silhouette vor hellem Fenster sehe oder die Kamera nur die Stirn einfängt, dann kommen wir immer klar.

Mein Fazit zum Online Coaching

JA, es funktioniert! (Das ist das wichtigste für meine Coachees aber auch für meine Zufriedenheit)

JA, es macht Spaß! (Mit Spaß wird alles leichter!)

Mein Tipp für Coachees, die unsicher sind, ob Coaching online funktioniert: nachfragen! Wie hat der Coach sich organisiert, welche Gedanken hat er oder sie sich gemacht, welche Technik wird vorausgesetzt. Und dann immer auf das Bauchgefühl hören – passt die Chemie zwischen Coach und Coachee?

Manche Dinge wollen geübt sein (aber ganz ehrlich, während meiner Coaching Ausbildung und danach habe ich ja auch geübt – das Coaching vor Ort ist auch nicht vom Himmel gefallen). Wer Spaß am Experimentieren hat und Sparringspartner,  mit denen Tests durchgeführt werden können, der findet sich in der online Welt schnell zurecht.

Ein Dank geht hier auch an meine Mentees (unter anderem meine MentorMe Mentee), mit denen ich manches ausprobieren durfte, bevor die zahlenden Kunden an der Reihe waren. Außerdem habe ich tolle Coachees, die sich bereitwillig auf die neue Welt eingelassen haben!

Vermutlich wird es normal werden, eine Mischung zu haben: nur online für überregionale Kunden, mal online mal in Präsenz für lokale Kunden. Ich bin dabei und freue mich auf weiteres Ausprobieren!